Pudeldamen

Nicht nur zu den Eltern im Viertel haben wir dank Lotte ein etwas intensiveres Verhältnis, sondern auch zu den Hundehaltern. Hunde haben hier oft Accessoire-Funktion, sind meistens klein und oft verkleidet. Lotte ist von allen Vierbeinern ziemlich begeistert, besonders von solchen, die kleiner sind als sie. Hundehalterinnen und ihre Tierchen sollen sich ja im Lauf der Zeit angleichen. Dazu gibt es auch einen kürzlich erschienenen Bildband. Davon völlig unabhängig, sind das auf jeden Fall unsere Lieblings-Pudeldamen in der Nachbarschaft.

Alles, was kawaii ist

かわいい – süß, liebenswert, bezaubernd, niedlich, sexy – kawaii in Japan ist mehr als die Summe seiner Übersetzungen. Kawaii ist eine Kulturpraxis. Kleine Kinder, Kleidungsstücke, Kirschblüten, Käfer, Kätzchen, Klebebildchen, Roboter … Eigentlich kann alles kawaii sein, was mit genug Zuckerguss, Farbe oder Kindchenschema versehen ist. Klar, denkt Ihr, bei uns zieht auch alles, was irgendwie süß ist. Aber Japan ist auch in dieser Hinsicht noch ein wenig konsequenter.

In der japanischen Popkultur gibt es viele Kawaii-Idole. Japanische Mädchen pflegen gerne die “kawaii Lolita-Mode”, eine Mischung aus viktorianischer und Rokoko-Mode, kombiniert mit Gothic-Elementen, die an Porzellanpuppen-Ästhetik erinnert. Auch bei Erwachsenen sieht man mitunter ein ähnlich puppenhaftes Styling, wenn auch meistens nicht so pastellig bunt.

In sogenannten Maid Cafés fungieren Kellnerinnen in Dienstmädchenkostümen als Dienerinnen und behandeln Kunden wie ihre Meister statt wie Caféhausgäste.

Japanische Comics mit vielen Farben, großen Augen und kindlichen Proportionen heißen Kawaii-Mangas.

Die japanischen High-Tech-Helfer-Roboter müssen natürlich auch kawaii sein.

In der Bahn warnt ein kawaii Häschen davor, dir nicht die Finger einzuklemmen, Straßensperrungen werden ganz unironisch durch niedliche Pinguine aufgelockert. Sogar die Nierentabletten, die nach zuviel Alkoholgenuß Abhilfe verschaffen sollen, werben mit süßen Figürchen.

Das Besondere an kawaii in Japan ist seine Allgegenwart. Die Kawaii-Begeisterung macht keinen Halt vor Altersgruppen, Gesellschaftsschichten, Geschlechtern. Natürlich laufen hier nicht überall rosafarbene puppenhaft gestylte junge Mädchen rum und man wird auch nicht in jedem Laden von Bärchen-Maskottchen begrüßt, aber 60-jährige mit Hello-Kitty-Accessoires sind keine Sonderlinge und auch 14-jährige Jungs oder 70-jährige Rentner dürfen entzückt “kawaii” rufen, wenn sie zum Beispiel unsere Tochter erspähen. A bissl kawaii geht immer. Zumindest in Japan.

Jedes Kippsche hat sei Statistiksche

Jeden Monat erhalten wir einen Bericht der Hausversammlung. Darin wird über das Erwartbare berichtet, wie zum Beispiel die Entwicklung des Stromverbrauchs und anderes Langweiliges, meistens sind die Berichte detailliert bis zur Pedanterie.

Heute aber stolperten wir über eine wirklich bemerkenswerte Statistik.

Für den Monat Oktober wurde exemplarisch dokumentiert, wie viele Zigarettenstummel pro Tag (!) im Umfeld unseres edlen Domizils gefunden wurden. Nicht nur wurde für jeden Tag die Stückzahl (!) dokumentiert, sondern auch der genaue Fundort. Am häufigsten, das ist das weiße Klötzchen, wurden Kippen im Umfeld des Erdgeschosses (heißt hier erstes Stockwerk) gefunden. Am 27. Oktober zum Beispiel gab es 12 Kippen draußen um das Erdgeschoss herum, und vier außen auf dem künstlichen Boden. Auf den Anwohnerparkplätzen und den anderen Flächen wurden im Monat Oktober keine Tabakspuren hinterlassen.
Insgesamt 246 Zigarettenstummel wurden im Oktober von irgendjemandem aufgesammelt und minutiös dokumentiert.

Touristin in Deutschland

Auf unserem Deutschlandtrip kam mir als Touristin aus Japan einiges ganz schön spanisch vor. Ich hab meine kulturellen Verwirrungen auf der Deutschlandreise mal notiert:

Die Leute, insbesondere die im Servicebereich, scheinen mir extrem unhöflich. Ich komme in einen Kiosk. Die Dame hinter dem Tresen erhebt sich nicht, verbeugt sich nicht, begrüßt mich nicht, bedankt sich nicht für meinen Besuch. Undenkbar in Japan.

‌Auffällig, dass einem andererseits – zumindest im Schwäbischen – bei fast jedem Abschied ein schöner Tag gewünscht wird. Das passiert uns in Japan nicht.

‌Ich genieße es, dass ich mich in Deutschland in einem Lokal einfach hinsetzen kann, wo ich will, ohne auf die Anweisungen des Servicepersonals warten zu müssen.

‌Mann, sind die Züge leer hier. Und unpünktlich.

Yay, hier gibt es überall Mülleimer. Irre, worüber sich Exilanten freuen.

Es gibt in Deutschland zwar viele Toiletten, aber für die meisten muss ich zahlen (in Japan sind die umsonst) und sie sind viel schmutziger als die japanischen.

‌Die Leute schauen mich direkt an, scheuen keinen Augenkontakt, sondern gucken mich unverhohlen, unverstohlen an. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt.

‌Ich fühle mich in Deutschland ganz normal groß und dünn und werde auch so wahrgenommen. Angenehm, nicht ständig mit meiner “Überdimensioniertheit” konfrontiert zu werden.

‌Die Menschen in Deutschland scheinen mir vielfältiger. Nicht nur in Hinblick auf die Ethnien, aber auch, was Frisuren, Kleidungsstile etc. angeht.

‌Deutsche Bäckereien sind wahrscheinlich die besten der Welt. Ich und die meisten anderen Exildeutschen vermissen sie völlig zu Recht.

‌Hier ist es generell ganz schön schmutzig – im Vergleich zu Japan (und ganz schön gepflegt im Vergleich zu China).

In Japan wird sich ständig entschuldigt, ob ich jemanden ansprechen möchte, ein Zimmer betrete oder aus Versehen jemanden schubse – die diversen Entschuldigungsfloskeln sind allgegenwärtig. Jo, in Deutschland wird sich vielleicht einen Tick zu wenig entschuldigt. Gerade im letzteren Fall.

Sumo

Vergangenen Sonntag hatten wir das Vergnügen und die Ehre, live im Stadion ein Freundschaftsturnier des weltberühmten und hoch ritualisierten Ringkampfes (ausgesprochen hier übrigens wie “Smoo”; hartes s, nur gehauchtes u, langes o) anzusehen. Es hat erstaunlich viel Spaß gemacht und im Stadion war eine überraschend gelöste Atmosphäre. Nach relativ kurzer Zeit hatten wir auch einen Favoriten gefunden, Takanoiwa Yoshimori, der es bis ins Finale geschafft hat.

Das Podest, auf dem sich der Ring befindet, ist aus einem speziellen Lehm gemacht, die Oberfläche ist mit Sand bestreut. Nachdem die beiden Kontrahenten das Podest besteigen, werden erstmal verschiedene Rituale durchgeführt. Erst wird Salz in den Ring geworfen, um Dämonen zu vertreiben und den Ring zu reinigen. Die Sumo-Ringer positionieren sich immer wieder einander gegenüber, ohne dass der eigentliche Kampf los geht. So ganz geblickt haben wir die Rituale auch nach 50 gesehenen Kämpfen nicht, aber das nimmt dem Zusehen nichts an Vernügen. Der Kampf beginnt, wenn die “Luft” zwischen den beiden “stimmt”, das entscheiden die Kämpfer.

Wir haben bei unserem Turnier keinen Kampf über 20 Sekunden gesehen. Es verliert der Kämpfer, dessen Körperteil (Zeh, Arm, Nase, egal) zuerst den Boden außerhalb des Rings berührt oder der innerhalb des Rings den Boden mit etwas anderem als seinen Füßen berührt.

​Was beim Sumo nicht erlaubt ist: Haare ziehen, treten, Bein stellen, spucken, ohrfeigen, den Gegner am Wickel (der Gürtel heißt Mawashi) hochheben, Kopfnüsse, dem Gegner auf den Hintern klatschen uvm. Beim Comedy-Sumo, auch ein Teil dieses Freundschaftsturniers, wurden alle diese No-Gos einmal humoristisch vorgeführt.

Faszinierend, dass diese Sportart ihren Ursprung im figurbewussten Japan hat und die Kämpfer dort wie Helden verehrt werden. Die meisten Sumo-Ringer sind übrigens sehr muskulös und beweglich. Einer der Komiker-Sumos hat aus dem Stand mal eben so einen Spagat gemacht.

Der Sieger des Turniers war in diesem Fall übrigens Kisenosato Yutaka, der erst diesen Januar zum Großmeister oder Yokuzuna ernannt wurde. Die Ernennung eine große Sache, da er der erste in Japan geborene Yokuzuna seit 19 Jahren ist. Für seinen Erfolg bekam er von den Sponsoren des Turniers eine Tonne (!) Rindfleisch, ein Fass Reis und eine Klimaanlage.

Das Finale des Tourniers. Rechts Großmeister Kisenosato, links unser Favorit Takanoiwa. Die Banner, die am Anfang um den Ring getragen werden, sind Werbung.