Wieder was dazu gelernt

In meinem Ringen, die chinesische Kultur ein bisschen besser zu verstehen, bin ich auf eine interessante Vorlesung gestoßen: “TED Talks – Understanding the rise of China – Martin Jacques”

Der Beitrag hat mir vor allem deswegen gefallen, weil er mir ein bisschen die westliche Brille geputzt hat, mit der wir uns die Welt anschauen. Die westliche Annahme, dass “Entwicklung” bedeutet, dass sich das Land hin zu abendländischen Denk- und Handlungsweisen bewegt, stimmt nicht. Vor allem nicht für China.

Was die Identität von China ausmacht, sind nicht die Landesgrenzen, sondern seine Zivilisation, seine Historie. Die Einheit von China wird durch kulturelle, zivilisatorische, historische Gemeinsamkeiten geschaffen (übrigens nicht zuletzt durch die gemeinsamen Schriftzeichen, die überall im Land für das Gleiche stehen, aber nicht gleich ausgesprochen werden). Das Beispiel von Hongkong zeigt: In China können mehrere Systeme nebeneinander bestehen, solange der gemeinsame zivilisatorische Nenner ‘China’ heißt.

Außerdem gibt es ein sehr bestimmtes Verständnis von “Rasse” und damit auch Zugehörigkeit. Länder mit vergleichbaren Bevölkerungszahlen wie Brasilien oder die USA bestehen aus vielen verschiedenen Ethnien. Neunzig Prozent der Chinesen sind Han-Chinesen (deswegen heißt das, was Wir Mandarin nennen, auf Chinesisch auch Han-Sprache). Andere ethnische Gruppen findet man entsprechend an den Rändern des Landes, wie zum Beispiel in Tibet und der Mongolei. Die Han-Identität ist einer der Grundbausteine chinesischer Identität, sprich: Um eine Chinesin zu sein, muss ich aussehen wie eine Chinesin. Mit dieser Blickrichtung ist es natürlich kaum denkbar, dass jemand der so aussieht wie ich, jemals als Chinesin wahrgenommen wird. Das ist auch ein Grund, weshalb wir jeden Tag zu spüren bekommen, dass wir Ausländer sind.

Die chinesische Regierung bzw. das Konstrukt des chinesischen Staats ist komplett anders, als wir es aus unserer Perspektive kennen. Der chinesische Staat und seine Grenzen wurden in den vergangenen Jahrhunderten nicht als solches in Frage gestellt, mussten sich nicht wieder und wieder legitimieren, wie europäische Staaten. Die Position des Staates ist unangefochten, der Staat fungiert eher als Familienoberhaupt, denn als etwas externes. Entsprechend wird es nicht als Eingriff in die Privatsphäre wahrgenommen, dass der Staat die Anzahl der Kinder bestimmt oder wo ich wohne.

Für manche vielleicht banal, für mich voller neuer Erkenntnisse. Ich werde also nie Chinesin. Nicht so schlimm.

Grüne Welle Gongqing

Comeback des Blogging-Verweigerers! Ich freue mich besonders, einen netten Artikel über unseren letztsonntäglichen Ausflug zu schreiben.

Eine Recherche nach naturnaher Aktivität in unserem Reiseführer bringt uns auf die Schliche des Gongqing Forest Park – ein angelegter quadratischer Park im Norden von Shanghai. Eine Metrostunde und eine Taxifahrt später sind wir da – und unsere Herzen jauchzen.

Der Park ist grüner und weniger überlaufen als der Pudonger Century Park oder der Central Park in New York (obwohl ich da noch nie war, ist aber bestimmt mehr los, in Amerika wohnen doch so viele). Obwohl fast alle Wege angelegt sind und es ein Aufgebot an Attraktionen gibt (Paintball, Pirate Ship, Zipline und Fußballplatz), finden sich doch zahlreiche Plätze, an denen man rein optisch vergessen kann, wo man ist. Rein optisch, weil sich natürlich die schwüle Hitze und das ohrenbetäubende Zirpen der Grillen nicht ausblenden lassen. Es ist wirklich unglaublich, wieviel Lärm diese Viecher machen können. Sogar in der Innenstadt knirscht’s von allen Wipfeln. Eine wahre Invasion. Ich habe zeitweise meine Ohren verstopft, weil ich meine Ruhe haben wollte.

Aber zurück zu den schönen Seiten – schaut euch die Bilder an! Glücklicherweise hatten wir unsere Slackline am Start und konnten das gute Stück zwischen zwei ordentliche Bäume spannen. In der Sonne liegen, lesen, slacklinen, schwitzen und dösen – so lässt sich ein Sonntag verbringen. Yeah!

Auch wir wissen, dass sich diese Zeilen aus naturverwöhnter Sicht nur mit einem großen Gähnen lesen lassen. Aber wer einmal eine Weile in einer wuchernden Millionenstadt unter Beton begraben war, der findet das geil.

So long, Christian

Politisch inkorrekt

Im liberalen, wohl gefälligen Deutschland fällt es leicht, seine liberale, wohl gefällige, politisch korrekte Weltsicht aufrecht zu erhalten.

Hier in unserer Wahlheimat werden wir automatisch nach optischen Kriterien der Klasse der Laowai (Ausländer) zugeordnet. Dazu gehört, dass in der Regel angenommen wird, dass man viel Geld habe, kein Chinesisch spreche und ein wenig dumm sei. Und das ist anstrengend. Und frustrierend. Und es gibt uns Laowai gleichzeitig eine gewisse Narrenfreiheit.

Und ich meinerseits habe mittlerweile genauso Klischeevorstellungen, zum Beispiel die, dass Planen und Organisieren keine ureigene Stärke von “Chinesen” darstellt, wobei ich ganz großzügig meine persönlichen Erfahrungen hier in Shanghai auf ein 1,4-Milliarden-Land übertrage. Und hier kommt mein aktuelles Weltsichtdilemma zum Tragen. Ich als kritisch-reflektierender Mensch, als den ich mich gerne sehe, will natürlich um jeden Preis verhindern, dass stereotypes Denken mein Anschauen der Welt bestimmt.

Gleichzeitig begegnet mir viel, was diese Sichtweise befördert, wie zum Beispiel das tägliche Chaos auf der Straße. Jeden Tag wird gehupt, geschimpft, geschnitten und gegen alle Verkehrsregeln verstoßen.

Dann passiert so etwas wie heute. Ein Lastwagen steht quer auf der Straße und blockiert beide Fahrstreifen, lässt aber ein kleines bisschen Platz auf dem Bürgersteig. Der Bürgersteig schließt an eine Hofeinfahrt an. Die zwei- bis dreirädrigen Gefährte bahnen sich allesamt ihren Weg über Gehweg und Hofeinfahrt, sie fahren geschickt um das Hindernis herum, und es müssen nur noch ein paar Autos warten. Ich bin beeindruckt, wie souverän dieses Problem gelöst wurde. In ihrer Effizienz und Geschicklichkeit erinnert dieses Vorgehen an eine gut funktionierende Ameisenstraße. Muss ich mich bei diesem Bild schuldig fühlen, dass eventuell Stereotype anklingen, die sich auf die Bevölkerungszahl in China beziehen? Oder dass ich – typisch deutsch – intuitiv ein Beispiel für Effizienz ausgewählt habe? Ich weiß es nicht.

Vermutlich werden auf lange Sicht weder meine vermeintlich politisch korrekte Haltung noch die schönen neu erworbenen Vorurteile unserer Lebensrealität in China standhalten. Und dafür bin ich China jetzt schon dankbar. Vielleicht sag ich das auch nur, um meinen positiven Blick auf die Welt zu retten. Aber selbst wenn?

Jump ’n’ Run in Shanghai

“Als Jump ’n’ Run (von englisch jump and run ‚springen und laufen‘) bezeichnet man Computerspiele, bei denen sich die Spielfigur laufend und springend fortbewegt und das präzise Springen einen wesentlichen Teil der spielerischen Handlung darstellt.” [Zitat aus „Jump ’n’ Run“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie]

Joggen gehen in Shanghai. Die erste Hürde ist der Smog. Der Air Quality Index sollte auf einem halbwegs verträglichen Niveau sein, sonst macht das Laufen nicht nur keinen Spaß, sondern ist sogar ungesund. Aber auch sonst ergeben sich ein paar faszinierende Hürden, die aus einer gewöhnlichen Laufrunde ein spannendes Jump ’n’ Run-Spiel machen:

  1. Gerüste aus Bambus, lassen nur sehr enge Gässchen und blockieren den Bürgersteig. Alternativ: Die Bambusrohre sind noch nicht aufgebaut, sondern liegen auf einem riesigen Haufen.
  2. Handfeste Nachbarschaftsstreits. Meistens kommen schnell zehn, zwanzig Leute zusammen, die sich wahlweise einmischen oder das Spektakel betrachten wollen.
  3. Sehr beliebt: “das häufige, betonte Entleeren der Atemwege, dem eine reinigende, gesunderhaltende Wirkung zugesprochen wird,” wie der Stadtführer der Deutschen Außenhandelskammer das ständige Vor-die-Füße-Rotzen gekonnt umschreibt.
  4. Gerne werden auch Fische oder andere Tiere auf dem Gehweg ausgenommen, Fahrräder und Motorroller repariert.
  5. Inhalte von Putz- und Mülleimern werden auf die Straße geworfen. Selber schuld, wenn ich in dem Moment gerade vorbei jogge.
  6. Hochzeitspärchen oder solche, die es bald werden, lassen sich in verliebten, altmodisch anmutenden Posen von Fotografenteams ablichten.
  7. Diverse Baustellen, gern auch solche, die am Vormittag des gleichen Tages noch nicht zu erahnen waren.
  8. Lockere Stolpersteine auf dem Gehweg. Vor denen sollte man sich seiner Knöchel zuliebe in Acht nehmen.
  9. Kleinen Vierbeinern, vornehmlich Pudeln, soll das Gassigehen an der Leine und in Schuhen (!) beigebracht werden. Ist ne aufwendige Angelegenheit.
  10. Kleinen Kindern soll beigebracht werden, ihr Geschäft zu verrichten. Ist auch ne aufwendige Angelegenheit. Kleinkinder haben in China meist Hosen mit einem Schlitz am Po an, da sie für gewöhnlich keine Windeln tragen.

… und das alles innerhalb von 30 Minuten bei uns im Viertel. Keine Übertreibung.

Neuer Hobel

Shanghais Straßen sind seit wenigen Stunden um einen Lichtblick reicher:

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Das Rad ist von Airwalk. Vor zwei Wochen habe ich die Komponenten ausgesucht – eine zähe Angelegenheit, wer meine Entscheidungsfreude kennt. Ich finde es hat sich gelohnt. Ein Quantensprung zu meiner vorherigen Droschke. Ab jetzt soll sich bitte das Wetter bessern! Go.