Raum und Zeit, drunter und drüber

Was vielen Chinesischlernenden – uns auch – schwer fällt, ist der richtige Gebrauch der zeitlichen Begriffe. So wie im Deutschen von ÜBER-morgen oder VOR-gestern gesprochen wird, werden auch im Chinesischen Wörter für die Zeitbeschreibung verwendet, die sonst den Raum beschreiben, nämlich meistens die Wörter für OBEN (上, shàng wie ShànghÇŽi = Über dem Meer) und UNTEN.
So weit, so nachvollziehbar. Nur, die chinesische Sprache verwendet diese Wörter genau andersrum als wir es mit unserem Raum- und Zeitverständnis erwarten. “Nächste Woche” heisst wörtlich übersetzt “die Woche drunter” und “vergangene Woche” heisst entsprechend wörtlich “die Woche drüber”. Und das ist gar nicht so leicht in den Kopf zu kriegen, weil es eben unserer Denke widerspricht.
Eine kluge Chinesin hat mir kürzlich eine schöne Erklärung und Eselsbrücke geliefert: Die Vergangenheit können wir sehen, die liegt deshalb AUF der Oberfläche; die Zukunft dagegen ist ungewiss, was UNTER der Oberfläche ist, können wir nicht sehen.

Nimm’s nicht persönlich

Im persönlichen Kontakt in China ist es wichtig, das Gesicht zu wahren und Gesicht zu geben. Unter keinen Umständen möchten Chinesen sich selbst oder Menschen in ihrer Umgebung in peinliche Lagen versetzen, stattdessen wird lieber die Wahrheit und die eigene Meinung ein bisschen gebogen. Höflichkeit bedeutet, nicht direkt zu sagen, was man möchte. Wer diese Regeln nicht beachtet und gerade raus widerspricht und seine Meinung sagt, wird schnell selbst als “gesichtslos” wahrgenommen, also links liegen gelassen und nicht ernst genommen – und das passiert natürlich häufig Menschen aus anderen Kulturen.

In der Öffentlichkeit und während unpersönlicher Kurzkontakte herrscht häufig eine ausgeprägte Ruppigkeit. Die westliche Höflichkeit, wie sie sich in Europa nach dem Vorbild des Benehmens bei Hofe entwickelt hat, spielt hier keine Rolle. Zum Beispiel ist es durchaus akzeptiert, lautstark auf den Boden zu rotzen, beim Essen zu rauchen, laut zu schmatzen und zu schlürfen, sein Kind auf die Straße pinkeln zu lassen oder andere zur Seite zu drängeln, um einen Platz in der vollen U-Bahn zu ergattern.

Für Chinesen aus ländlichen Gegenden sind Menschen aus dem Westen häufig noch Aufsehen erregend. Wegen unseres seltsamen Äußeren werden wir immer wieder mal ungeniert angegafft wie ein Elefant im Straßenverkehr. Gerne wird auch über die Elefantenhaftigkeit der Ausländer gesprochen, selbst wenn diese signalisieren, dass sie genug Chinesisch verstehen, um zu wissen, dass es gerade um sie geht.

Einkaufen auf Märkten in China ist ein sportlicher Wettbewerb, in dem alle Mittel erlaubt sind. Da die chinesichen Händler davon ausgehen, dass wir Ausländer erstens ein Vielfaches des chinesischen Einkommens verdienen (das stimmt in vielen Fällen auch) und  zweitens den ursprünglichen Preis überhaupt nicht einschätzen können, wird uns Laowai gerne mal das Doppelte und Dreifache abgeknöpft.

Aber wir sind nicht persönlich gemeint: Dass wir die sozialen Regeln nicht kennen, ist eben so, das erwartet auch niemand von uns. Dass gerotzt und gerüpelt wird, ist normal und erlebt jeder Mensch in China. Dass wir eine Attraktion darstellen, hat eben auch nichts mit uns als Person zu tun, sondern damit, dass China jahrhundertelang abgeschottet war und zum Teil immer noch schwer zugänglich ist. Und dass wir auf den Märkten übers Ohr gehauen werden, jo mei, das verstehen viele Chinesen als ausgleichende Gerechtigkeit und vielleicht sollten wir es auch so sehen.

Meine wichtigste Lektion nach 11 Monaten China: Nimm’s nicht persönlich!