Let’s go for a walk…

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Die Luftqualität erreicht heute in Shanghai historische Bestwerte, zumindest was unseren Aufenthalt hier angeht. Normalerweise pendelt der AQI-Tacho (Air Quality Index) so zwischen 50 und 200 in den Sommermonaten, wobei alles unter 100 schon zu Freudentaumel führt.
Grund der Besserung: Der Typhoon Fung-Wong sucht derzeit die Ostküste Chinas heim und bringt neben einer tüchtigen Brise auch viel Regen mit. Im Vergleich  zu anderen Provinzen ist Shanghai nur moderat betroffen. Annika und ich haben gestern abend schon die Gelegenheit für eine Joggingrunde genutzt. Es ist absurd, aber Regenwetter ist für uns Sportwetter.

Nachtrag: In der Firma angekommen, sehe ich wieder einige Kollegen in Flip-Flops auf dem Hof: Der beste Umgang gegen knöcheltiefe Pfützen, die es aufgrund der mangelnden baulichen Qualität in China zu Hauf gibt!

Die Strategen

Folgend stellen wir zwei unterschiedliche Kommunikationstypen beim Erfragen von Informationen auf Chinesisch dar. Ein kleines Rätsel für Euch: Wer von uns beiden ist welcher Typ?

Typ 1: Der Rumpler. Schnell, spritzig und unvorbereitet in die Konversation reingehen, Hände und Füße unterstreichen das intensive Bemühen. Vorteil: Geht ziemlich oft gut, was auch an der Beharrlichkeit und dem Charme dieses Typs liegt. Nachteil: Bei komplexen Sachverhalten geht es auch ab und zu mal schief. Die Gesprächspartner wenden sich ungeduldig ab und dem Zauderer zu.

Typ 2: Der Zauderer. Die erforderlichen Wörter werden auf dem Handywörterbuch rausgesucht, um zu einem möglichst korrekten Satz verbunden zu werden. Vorteil: Wird häufig verstanden, die Gesprächspartner freuen sich über das Bemühen. Nachteil: Unerwartete Nachfragen ziehen aufwendiges Suchen im Handy nach sich. Die Gesprächspartner wenden sich ungeduldig ab. Der Rumpler springt ein.

Viel Spaß beim Raten! C+A

Wieder was dazu gelernt

In meinem Ringen, die chinesische Kultur ein bisschen besser zu verstehen, bin ich auf eine interessante Vorlesung gestoßen: “TED Talks – Understanding the rise of China – Martin Jacques”

Der Beitrag hat mir vor allem deswegen gefallen, weil er mir ein bisschen die westliche Brille geputzt hat, mit der wir uns die Welt anschauen. Die westliche Annahme, dass “Entwicklung” bedeutet, dass sich das Land hin zu abendländischen Denk- und Handlungsweisen bewegt, stimmt nicht. Vor allem nicht für China.

Was die Identität von China ausmacht, sind nicht die Landesgrenzen, sondern seine Zivilisation, seine Historie. Die Einheit von China wird durch kulturelle, zivilisatorische, historische Gemeinsamkeiten geschaffen (übrigens nicht zuletzt durch die gemeinsamen Schriftzeichen, die überall im Land für das Gleiche stehen, aber nicht gleich ausgesprochen werden). Das Beispiel von Hongkong zeigt: In China können mehrere Systeme nebeneinander bestehen, solange der gemeinsame zivilisatorische Nenner ‘China’ heißt.

Außerdem gibt es ein sehr bestimmtes Verständnis von “Rasse” und damit auch Zugehörigkeit. Länder mit vergleichbaren Bevölkerungszahlen wie Brasilien oder die USA bestehen aus vielen verschiedenen Ethnien. Neunzig Prozent der Chinesen sind Han-Chinesen (deswegen heißt das, was Wir Mandarin nennen, auf Chinesisch auch Han-Sprache). Andere ethnische Gruppen findet man entsprechend an den Rändern des Landes, wie zum Beispiel in Tibet und der Mongolei. Die Han-Identität ist einer der Grundbausteine chinesischer Identität, sprich: Um eine Chinesin zu sein, muss ich aussehen wie eine Chinesin. Mit dieser Blickrichtung ist es natürlich kaum denkbar, dass jemand der so aussieht wie ich, jemals als Chinesin wahrgenommen wird. Das ist auch ein Grund, weshalb wir jeden Tag zu spüren bekommen, dass wir Ausländer sind.

Die chinesische Regierung bzw. das Konstrukt des chinesischen Staats ist komplett anders, als wir es aus unserer Perspektive kennen. Der chinesische Staat und seine Grenzen wurden in den vergangenen Jahrhunderten nicht als solches in Frage gestellt, mussten sich nicht wieder und wieder legitimieren, wie europäische Staaten. Die Position des Staates ist unangefochten, der Staat fungiert eher als Familienoberhaupt, denn als etwas externes. Entsprechend wird es nicht als Eingriff in die Privatsphäre wahrgenommen, dass der Staat die Anzahl der Kinder bestimmt oder wo ich wohne.

Für manche vielleicht banal, für mich voller neuer Erkenntnisse. Ich werde also nie Chinesin. Nicht so schlimm.

Jump ’n’ Run in Shanghai

“Als Jump ’n’ Run (von englisch jump and run ‚springen und laufen‘) bezeichnet man Computerspiele, bei denen sich die Spielfigur laufend und springend fortbewegt und das präzise Springen einen wesentlichen Teil der spielerischen Handlung darstellt.” [Zitat aus „Jump ’n’ Run“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie]

Joggen gehen in Shanghai. Die erste Hürde ist der Smog. Der Air Quality Index sollte auf einem halbwegs verträglichen Niveau sein, sonst macht das Laufen nicht nur keinen Spaß, sondern ist sogar ungesund. Aber auch sonst ergeben sich ein paar faszinierende Hürden, die aus einer gewöhnlichen Laufrunde ein spannendes Jump ’n’ Run-Spiel machen:

  1. Gerüste aus Bambus, lassen nur sehr enge Gässchen und blockieren den Bürgersteig. Alternativ: Die Bambusrohre sind noch nicht aufgebaut, sondern liegen auf einem riesigen Haufen.
  2. Handfeste Nachbarschaftsstreits. Meistens kommen schnell zehn, zwanzig Leute zusammen, die sich wahlweise einmischen oder das Spektakel betrachten wollen.
  3. Sehr beliebt: “das häufige, betonte Entleeren der Atemwege, dem eine reinigende, gesunderhaltende Wirkung zugesprochen wird,” wie der Stadtführer der Deutschen Außenhandelskammer das ständige Vor-die-Füße-Rotzen gekonnt umschreibt.
  4. Gerne werden auch Fische oder andere Tiere auf dem Gehweg ausgenommen, Fahrräder und Motorroller repariert.
  5. Inhalte von Putz- und Mülleimern werden auf die Straße geworfen. Selber schuld, wenn ich in dem Moment gerade vorbei jogge.
  6. Hochzeitspärchen oder solche, die es bald werden, lassen sich in verliebten, altmodisch anmutenden Posen von Fotografenteams ablichten.
  7. Diverse Baustellen, gern auch solche, die am Vormittag des gleichen Tages noch nicht zu erahnen waren.
  8. Lockere Stolpersteine auf dem Gehweg. Vor denen sollte man sich seiner Knöchel zuliebe in Acht nehmen.
  9. Kleinen Vierbeinern, vornehmlich Pudeln, soll das Gassigehen an der Leine und in Schuhen (!) beigebracht werden. Ist ne aufwendige Angelegenheit.
  10. Kleinen Kindern soll beigebracht werden, ihr Geschäft zu verrichten. Ist auch ne aufwendige Angelegenheit. Kleinkinder haben in China meist Hosen mit einem Schlitz am Po an, da sie für gewöhnlich keine Windeln tragen.

… und das alles innerhalb von 30 Minuten bei uns im Viertel. Keine Übertreibung.