Politisch inkorrekt

Im liberalen, wohl gefälligen Deutschland fällt es leicht, seine liberale, wohl gefällige, politisch korrekte Weltsicht aufrecht zu erhalten.

Hier in unserer Wahlheimat werden wir automatisch nach optischen Kriterien der Klasse der Laowai (Ausländer) zugeordnet. Dazu gehört, dass in der Regel angenommen wird, dass man viel Geld habe, kein Chinesisch spreche und ein wenig dumm sei. Und das ist anstrengend. Und frustrierend. Und es gibt uns Laowai gleichzeitig eine gewisse Narrenfreiheit.

Und ich meinerseits habe mittlerweile genauso Klischeevorstellungen, zum Beispiel die, dass Planen und Organisieren keine ureigene Stärke von “Chinesen” darstellt, wobei ich ganz großzügig meine persönlichen Erfahrungen hier in Shanghai auf ein 1,4-Milliarden-Land übertrage. Und hier kommt mein aktuelles Weltsichtdilemma zum Tragen. Ich als kritisch-reflektierender Mensch, als den ich mich gerne sehe, will natürlich um jeden Preis verhindern, dass stereotypes Denken mein Anschauen der Welt bestimmt.

Gleichzeitig begegnet mir viel, was diese Sichtweise befördert, wie zum Beispiel das tägliche Chaos auf der Straße. Jeden Tag wird gehupt, geschimpft, geschnitten und gegen alle Verkehrsregeln verstoßen.

Dann passiert so etwas wie heute. Ein Lastwagen steht quer auf der Straße und blockiert beide Fahrstreifen, lässt aber ein kleines bisschen Platz auf dem Bürgersteig. Der Bürgersteig schließt an eine Hofeinfahrt an. Die zwei- bis dreirädrigen Gefährte bahnen sich allesamt ihren Weg über Gehweg und Hofeinfahrt, sie fahren geschickt um das Hindernis herum, und es müssen nur noch ein paar Autos warten. Ich bin beeindruckt, wie souverän dieses Problem gelöst wurde. In ihrer Effizienz und Geschicklichkeit erinnert dieses Vorgehen an eine gut funktionierende Ameisenstraße. Muss ich mich bei diesem Bild schuldig fühlen, dass eventuell Stereotype anklingen, die sich auf die Bevölkerungszahl in China beziehen? Oder dass ich – typisch deutsch – intuitiv ein Beispiel für Effizienz ausgewählt habe? Ich weiß es nicht.

Vermutlich werden auf lange Sicht weder meine vermeintlich politisch korrekte Haltung noch die schönen neu erworbenen Vorurteile unserer Lebensrealität in China standhalten. Und dafür bin ich China jetzt schon dankbar. Vielleicht sag ich das auch nur, um meinen positiven Blick auf die Welt zu retten. Aber selbst wenn?

We’ve got mail

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Es funktioniert – für alle, die es auch gerne ausprobieren möchten: mit dieser Adresse kommt Post bei uns an:

Christian/Annika
上海
徐汇
五原路 50 弄6号633
China

… und 1000 Dank für das Päckchen, lieber Frank!

Entschuldigen Sie, ist das der Sonderflug nach Hong Kong?

Das lange 1.Mai-Wochenende waren wir in der wahrscheinlich unchinesischsten aller chinesischen Städte: in der Sonderverwaltungszone Hong Kong!
Die freie Marktwirtschaft hat sich mit der britischen Höflichkeit und der südchinesischen Mentalität gepaart. Herausgekommen ist eine quirlige Weltstadt, in der Chinesen gutes Englisch sprechen, unaufgefordert Schlange stehen, links fahren, nicht auf den Boden spucken und die Highheel-Quote ca. 75% geringer als in Shanghai ist. Die Hongkonger Skyline wirkt eher bescheiden verglichen mit dem Shanghaier LED-Blingblingkonzert am Bund.

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…Understatement eben.

Für uns als Kurzurlauber einfach toll ist die Tatsache, dass man ruckzuck in die Natur kommt. Einen der vier Tage konnten wir beim Wandern auf einer schnuckligen kleinen Fischerinsel verbringen, bequem mit U-Bahn und Boot zu erreichen:

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Wunderbar. Das riecht nach Meer. Einen weiteren Tag genossen wir am stadteigenen Strand. Schwimmen!!

Die Krönung unseres Aufenthalts war allerdings unser Hotelzimmer:

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Es wurde beschrieben (und berechnet!) als Doppelzimmer mit Wifi, TV und eigenem Bad. Stimmt auch. Die Naßzelle hat großzügige 1,5 Quadratmeter und befindet sich am Fußende des Bettes. Im Prinzip kein Problem für uns, waren wir doch unermüdlich auf Achse.

Unser Fazit nach vier Tagen: Super Stadt, über die Lebenshaltungskosten sollte man nochmal nachdenken. Kann Shanghai nicht bitte ein bisschen mehr Hong Kong sein?!