Heiratsmarkt

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…wird im Shanghaier People’s Park wörtlich genommen. Die Marktschreier sind in der Regel Eltern, Onkel oder Tanten der Noch-Singles. Potentielle Heiratskandidaten werden auf Steckbriefen vorgestellt, angepriesen und verhökert. Unabdingbar für den Geschäftserfolg sind Eckdaten wie Alter, Gewicht und Jahresgehalt der Kandidaten.

Grüne Welle Gongqing

Comeback des Blogging-Verweigerers! Ich freue mich besonders, einen netten Artikel über unseren letztsonntäglichen Ausflug zu schreiben.

Eine Recherche nach naturnaher Aktivität in unserem Reiseführer bringt uns auf die Schliche des Gongqing Forest Park – ein angelegter quadratischer Park im Norden von Shanghai. Eine Metrostunde und eine Taxifahrt später sind wir da – und unsere Herzen jauchzen.

Der Park ist grüner und weniger überlaufen als der Pudonger Century Park oder der Central Park in New York (obwohl ich da noch nie war, ist aber bestimmt mehr los, in Amerika wohnen doch so viele). Obwohl fast alle Wege angelegt sind und es ein Aufgebot an Attraktionen gibt (Paintball, Pirate Ship, Zipline und Fußballplatz), finden sich doch zahlreiche Plätze, an denen man rein optisch vergessen kann, wo man ist. Rein optisch, weil sich natürlich die schwüle Hitze und das ohrenbetäubende Zirpen der Grillen nicht ausblenden lassen. Es ist wirklich unglaublich, wieviel Lärm diese Viecher machen können. Sogar in der Innenstadt knirscht’s von allen Wipfeln. Eine wahre Invasion. Ich habe zeitweise meine Ohren verstopft, weil ich meine Ruhe haben wollte.

Aber zurück zu den schönen Seiten – schaut euch die Bilder an! Glücklicherweise hatten wir unsere Slackline am Start und konnten das gute Stück zwischen zwei ordentliche Bäume spannen. In der Sonne liegen, lesen, slacklinen, schwitzen und dösen – so lässt sich ein Sonntag verbringen. Yeah!

Auch wir wissen, dass sich diese Zeilen aus naturverwöhnter Sicht nur mit einem großen Gähnen lesen lassen. Aber wer einmal eine Weile in einer wuchernden Millionenstadt unter Beton begraben war, der findet das geil.

So long, Christian

Politisch inkorrekt

Im liberalen, wohl gefälligen Deutschland fällt es leicht, seine liberale, wohl gefällige, politisch korrekte Weltsicht aufrecht zu erhalten.

Hier in unserer Wahlheimat werden wir automatisch nach optischen Kriterien der Klasse der Laowai (Ausländer) zugeordnet. Dazu gehört, dass in der Regel angenommen wird, dass man viel Geld habe, kein Chinesisch spreche und ein wenig dumm sei. Und das ist anstrengend. Und frustrierend. Und es gibt uns Laowai gleichzeitig eine gewisse Narrenfreiheit.

Und ich meinerseits habe mittlerweile genauso Klischeevorstellungen, zum Beispiel die, dass Planen und Organisieren keine ureigene Stärke von “Chinesen” darstellt, wobei ich ganz großzügig meine persönlichen Erfahrungen hier in Shanghai auf ein 1,4-Milliarden-Land übertrage. Und hier kommt mein aktuelles Weltsichtdilemma zum Tragen. Ich als kritisch-reflektierender Mensch, als den ich mich gerne sehe, will natürlich um jeden Preis verhindern, dass stereotypes Denken mein Anschauen der Welt bestimmt.

Gleichzeitig begegnet mir viel, was diese Sichtweise befördert, wie zum Beispiel das tägliche Chaos auf der Straße. Jeden Tag wird gehupt, geschimpft, geschnitten und gegen alle Verkehrsregeln verstoßen.

Dann passiert so etwas wie heute. Ein Lastwagen steht quer auf der Straße und blockiert beide Fahrstreifen, lässt aber ein kleines bisschen Platz auf dem Bürgersteig. Der Bürgersteig schließt an eine Hofeinfahrt an. Die zwei- bis dreirädrigen Gefährte bahnen sich allesamt ihren Weg über Gehweg und Hofeinfahrt, sie fahren geschickt um das Hindernis herum, und es müssen nur noch ein paar Autos warten. Ich bin beeindruckt, wie souverän dieses Problem gelöst wurde. In ihrer Effizienz und Geschicklichkeit erinnert dieses Vorgehen an eine gut funktionierende Ameisenstraße. Muss ich mich bei diesem Bild schuldig fühlen, dass eventuell Stereotype anklingen, die sich auf die Bevölkerungszahl in China beziehen? Oder dass ich – typisch deutsch – intuitiv ein Beispiel für Effizienz ausgewählt habe? Ich weiß es nicht.

Vermutlich werden auf lange Sicht weder meine vermeintlich politisch korrekte Haltung noch die schönen neu erworbenen Vorurteile unserer Lebensrealität in China standhalten. Und dafür bin ich China jetzt schon dankbar. Vielleicht sag ich das auch nur, um meinen positiven Blick auf die Welt zu retten. Aber selbst wenn?

Jump ’n’ Run in Shanghai

“Als Jump ’n’ Run (von englisch jump and run ‚springen und laufen‘) bezeichnet man Computerspiele, bei denen sich die Spielfigur laufend und springend fortbewegt und das präzise Springen einen wesentlichen Teil der spielerischen Handlung darstellt.” [Zitat aus „Jump ’n’ Run“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie]

Joggen gehen in Shanghai. Die erste Hürde ist der Smog. Der Air Quality Index sollte auf einem halbwegs verträglichen Niveau sein, sonst macht das Laufen nicht nur keinen Spaß, sondern ist sogar ungesund. Aber auch sonst ergeben sich ein paar faszinierende Hürden, die aus einer gewöhnlichen Laufrunde ein spannendes Jump ’n’ Run-Spiel machen:

  1. Gerüste aus Bambus, lassen nur sehr enge Gässchen und blockieren den Bürgersteig. Alternativ: Die Bambusrohre sind noch nicht aufgebaut, sondern liegen auf einem riesigen Haufen.
  2. Handfeste Nachbarschaftsstreits. Meistens kommen schnell zehn, zwanzig Leute zusammen, die sich wahlweise einmischen oder das Spektakel betrachten wollen.
  3. Sehr beliebt: “das häufige, betonte Entleeren der Atemwege, dem eine reinigende, gesunderhaltende Wirkung zugesprochen wird,” wie der Stadtführer der Deutschen Außenhandelskammer das ständige Vor-die-Füße-Rotzen gekonnt umschreibt.
  4. Gerne werden auch Fische oder andere Tiere auf dem Gehweg ausgenommen, Fahrräder und Motorroller repariert.
  5. Inhalte von Putz- und Mülleimern werden auf die Straße geworfen. Selber schuld, wenn ich in dem Moment gerade vorbei jogge.
  6. Hochzeitspärchen oder solche, die es bald werden, lassen sich in verliebten, altmodisch anmutenden Posen von Fotografenteams ablichten.
  7. Diverse Baustellen, gern auch solche, die am Vormittag des gleichen Tages noch nicht zu erahnen waren.
  8. Lockere Stolpersteine auf dem Gehweg. Vor denen sollte man sich seiner Knöchel zuliebe in Acht nehmen.
  9. Kleinen Vierbeinern, vornehmlich Pudeln, soll das Gassigehen an der Leine und in Schuhen (!) beigebracht werden. Ist ne aufwendige Angelegenheit.
  10. Kleinen Kindern soll beigebracht werden, ihr Geschäft zu verrichten. Ist auch ne aufwendige Angelegenheit. Kleinkinder haben in China meist Hosen mit einem Schlitz am Po an, da sie für gewöhnlich keine Windeln tragen.

… und das alles innerhalb von 30 Minuten bei uns im Viertel. Keine Übertreibung.