Touristin in Deutschland

Auf unserem Deutschlandtrip kam mir als Touristin aus Japan einiges ganz schön spanisch vor. Ich hab meine kulturellen Verwirrungen auf der Deutschlandreise mal notiert:

Die Leute, insbesondere die im Servicebereich, scheinen mir extrem unhöflich. Ich komme in einen Kiosk. Die Dame hinter dem Tresen erhebt sich nicht, verbeugt sich nicht, begrüßt mich nicht, bedankt sich nicht für meinen Besuch. Undenkbar in Japan.

‌Auffällig, dass einem andererseits – zumindest im Schwäbischen – bei fast jedem Abschied ein schöner Tag gewünscht wird. Das passiert uns in Japan nicht.

‌Ich genieße es, dass ich mich in Deutschland in einem Lokal einfach hinsetzen kann, wo ich will, ohne auf die Anweisungen des Servicepersonals warten zu müssen.

‌Mann, sind die Züge leer hier. Und unpünktlich.

Yay, hier gibt es überall Mülleimer. Irre, worüber sich Exilanten freuen.

Es gibt in Deutschland zwar viele Toiletten, aber für die meisten muss ich zahlen (in Japan sind die umsonst) und sie sind viel schmutziger als die japanischen.

‌Die Leute schauen mich direkt an, scheuen keinen Augenkontakt, sondern gucken mich unverhohlen, unverstohlen an. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt.

‌Ich fühle mich in Deutschland ganz normal groß und dünn und werde auch so wahrgenommen. Angenehm, nicht ständig mit meiner “Überdimensioniertheit” konfrontiert zu werden.

‌Die Menschen in Deutschland scheinen mir vielfältiger. Nicht nur in Hinblick auf die Ethnien, aber auch, was Frisuren, Kleidungsstile etc. angeht.

‌Deutsche Bäckereien sind wahrscheinlich die besten der Welt. Ich und die meisten anderen Exildeutschen vermissen sie völlig zu Recht.

‌Hier ist es generell ganz schön schmutzig – im Vergleich zu Japan (und ganz schön gepflegt im Vergleich zu China).

In Japan wird sich ständig entschuldigt, ob ich jemanden ansprechen möchte, ein Zimmer betrete oder aus Versehen jemanden schubse – die diversen Entschuldigungsfloskeln sind allgegenwärtig. Jo, in Deutschland wird sich vielleicht einen Tick zu wenig entschuldigt. Gerade im letzteren Fall.

Der Lappen ist unser

Die Erfolgsgeschichte des Tages: in nur 7.5 Stunden haben wir einen japanischen Führerschein erworben, davor hatten wir bloß eine Übersetzung die ein Jahr ab Einreise gültig ist. Auf dem Amt gehen 7 Stunden auf das Konto unseres Sitzfleisches, in der verbleibenden halben Stunde unternehmen wir eine kleine Odysee mit Antrag stellen, Foto machen (1), Dokumente einreichen, Zahlen, Sehtest, Foto machen (2) und Führerschein abholen.

Der kritische Punkt ist die Prüfung der Dokumente, denn man muss nachweisen, dass man nach dem Erhalt des deutschen Führerscheins mindestens 3 Monate in Deutschland wohnhaft war – sonst gilt es nicht (näh näh) und man muss eine echte Prüfung ablegen. Unsere wenigen zusammengeklaubten Dokumente wurden schließlich akzeptiert und wir damit happy. Der Rest war reine Formsache bzw. ein Geduldsspiel.

Hier die fröhlichen Gewinner:

Kaffee Ratte

Im Japanischen gibt es nicht wirklich ein “R”. Es gibt zwei Laute, die so ähnlich klingen – ein L und etwas, was einem rollendes R gleicht. Viele Japaner machen da auch keinen Unterschied, wenn sie Englisch sprechen, das ist manchmal schwer zu verstehen. Die Umschrift verwendet für diese Laute R’s, weswegen die unerfahrene Japanischstudentin logischerweise alles mit einem R ausspricht, was so geschrieben steht.

Die japanischen Schriften kann ich mittlerweile so lesen wie eine Erstklässlerin – erst “übersetze” ich die einzelnen Laute und dann gucke ich, ob ich das Wort schon kenne. Etwas so: “Ha, a, u, es – Ha, au s – ah, Haus”. Und so habe ich neulich herausgefunden, dass der Convenience Store unseres Vertrauens ein ganz besonderes Getränk im Angebot hat: den “Ka, fe, ra, te”!

Noch nicht probiert, hab Schiss.

Wunderlichkeiten und Hindernisse

Hier findet sich eine kleine Komposition an Wunderlichkeiten und Hindernissen, die wir in unserer kurzen Zeit in Japan erleben durften. Wir müssen diese schnell dokumentieren, bevor wir uns über gar nicht mehr wundern, weil vieles bereits zur akzeptierten Realität geworden ist.

Umzug

  • Die Liste von Dingen, die wir nicht in unseren großen, vom chinesischen und japanischen Zoll kontrollierten Luftfrachtkisten ins Land einführen durften, ist länger als die der Dinge, die uns als einführungswürdig einfallen. Nicht ins Land gebracht werden dürfen unter anderem Flüssigkeiten, Substanzen von pulveriger Beschaffenheit, Batterien und Pingpong-Bälle.
  • Bei jeder Lieferung von Kisten oder Möbeln wurden von den Lieferanten nicht nur die Schuhe an der Schwelle ausgezogen, sondern auch dicke Teppiche untergelegt, damit unser empfindlicher Parkettboden nicht leidet.
  • Selbiges Parkett ist auch der Grund dafür, dass unsere Stühle Socken tragen, die es eigens zu diesem Zweck zu kaufen gibt (Achtung: bei der Online-Suche nicht aus Versehen auf die Pudelsocken-Seite geraten, wie es Annika ergangen ist).

Transport

  • Wohnungspreise sind direkt abhängig von der Distanz zur nächsten Bahnstation. Alle Exposés geben deshalb Laufminuten an
  • Das U-Bahnnetz ist groß, wird aber von unterschiedlichen Firmen betrieben. Beim Umsteigen muss man dabei durch die diverse Bezahlschranken.
  • Die Bezahlschranken sind immer offen um möglichst schnell durchlaufen zu können. Hat man kein Ticket oder es kann nicht richtig gelesen werden, schließt die gepolsterte Schranke und man muss zum Station Master (peinlich, denn alle Pendler werden aufgehalten).
  • An belebten Stationen stehen Bahnangestellte in weißen Handschuhen um für Ordnung zu sorgen und Passagieren in den Zug zu helfen, auch wenn dieser schon voll ist. Am besten ist die Choreographie zur Kontrolle, ob die Passagiere am Bahnsteig den Sicherheitsabstand einhalten.

Bequemlichkeitsgeschäfte (Convenience Stores)

  • Finden sich an jeder Ecke und bieten Dinge des täglichen Bedarfs (Mangahefte, Businesshemden, Energydrinks).
  • Über Automaten, die in dem Laden stehen, erhält man Geld, Konzertkarten und kann seine Rechnungen bezahlen.
  • Um einen Eiskaffee zu bekommen, muss man einen versiegelten Becher mit Eis aus dem Gefrierfach holen, zur Kasse bringen und danach am Automat befüllen
  • Es wird viel frisches Essen angeboten, zum Teil komplette Mahlzeiten, die man direkt vor Ort in der Mikrowelle aufheizen kann
  • Baumkuchen. Ueberall Baumkuchen (in deutsch beschriftet). Warum kennen wir den aus Deutschland bloss nicht?
  • Vorsicht vorm Dosenregal: Japaner schwören auf Alkopops (z.b. Highballs). Was wir für eine Limo halten, kann sich schnell als hochprozentige Überraschung erweisen.

In der Apotheke

  • Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten prüft der Apotheker akribisch die Identität des Kunden.
  • Der Empfang der Packungsbeilage (extra auf Englisch ausgedruckt) und das Wissen um Risiken und Nebenwirkungen muss mit Unterschrift quittiert werden.

Wohnen

  • Schwindelfreies Putzfachpersonal reinigen unsere Fenster im 24. Stock. Um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, kündigt die Hausverwaltung das Reinigungsvorhaben über die Haussprechanlage an.
  • Unsere Türsprechanlage kann Emails empfangen und vor Erdbeben warnen. Manchmal gelingt es auch damit Besucher oder Lieferanten Einlass zu gewähren
  • Das Signal “Pet” am Fahrstuhl zeigt an, dass sich ein tierischer Fahrgast im inneren befindet

Seltsames Bankwesen

  • Jedes Bankkonto besteht aus einer Filialen- und einer Kontonummer. Bei Überweisungen o.ähnlichem muss man nicht die Filialennummer eingeben, sondern den Namen der Filiale in speziellen japanischen Zeichen (single-byte katakana).
  • Man erhält eine Bankkarte, die man nur dazu verwenden kann, Geld vom Automaten abzuheben, nicht aber um damit einzukaufen
  • Die Wunsch-PIN der Karte muss man bei der Kontoeröffnung unter den Augen des Bankangestellten auf den Antrag schreiben
  • Daueraufträge sind bei vielen japanischen Banken unüblich
  • Über ein kompliziertes Schema definiert sich der Kundenstatus: Premium, Gold oder Platin. Davon abhängig ist, wie viele kostenlose Überweisungen man durchführen kann
  • Eine Überweisung kostet sonst ungefähr 2,50 Euro

Essen

  • Kontinuierlicher Aufreger: im Restaurant sind Tische frei, aber man muss ich am Eingang mit Namen registrieren und brav abwarten, bis man aufgerufen wird
  • Preise werden gerne zur Kundentäuschung ohne Mehrwertsteuer angegeben
  • Ein feuchtes Handtuch in der Tüte (wer weiss wie lange es darin schon schwitzt) wird vor jedem Essen gereicht. Generell ist gerne alles zig-mal verpackt und man fragt sich wohin mit dem Muell

Die Zwischenzeit


Zur Illustration für die, die die Geographie um Tokio vielleicht gerade nicht präsent haben: Mittig unten der blaue Punkt ist Yokohama, da wohnen wir gerade. Bei der roten Markierung ist ab Mai Christians Büro und etwa ab da wo Shibuya steht, wird Tokio besonders interessant.

Wir wohnen zur Zeit übergangsweise in einer Art Ferienwohnung in der Nähe von Yokohamas Hafen. Eine schöne Sache, da wir am Meer spazieren oder joggen gehen können, um unsere Shanghai-geplagten Lungen durchzulüften und tief durchzuatmen. Aber es ist eben nur ein zwischenzeitliches Zuhause, wir sind – natürlich – auf der Suche nach einer dauerhaften Bude, deren Verkehrsanbindung strategisch möglichst gut zwischen Tokios Zentrum und Christians neuer Arbeitsstelle liegt. Auch unsere Umzugskisten aus Shanghai befinden sich in einer Interimssituation. Sie übernachten zur Zeit beim japanischen Zoll und die Umzugsfirma fragt schon jeden Tag an, wo sie die Kisten nach der Zollabfertigung denn hinliefern darf.

Die derzeitige Situation ist uns vertraut und gleichzeitig nicht. Wir sind angekommen, aber noch nicht ganz da. Wir sind wieder fünf Jahre alt, verstehen das meiste noch nicht so ganz, können nichts lesen und haben nur eine ungefähre Ahnung davon, wie die Dinge funktionieren und der Hase läuft. Während Christian schon fleißig am Arbeiten ist, lerne ich Japanisch und die Gegend kennen. So ähnlich wie vor etwas mehr als zwei Jahren in Shanghai.

Sakura Forecast

Die Kirschblüten (Sakura) übrigens markieren auch so eine Zwischenzeit, der Frühling ist angekommen, aber noch nicht ganz da. Ganz Japan freut sich an ihnen, es gibt sogar eine offizielle Blühvorhersage (hier von http://www.japan-guide.com/sakura), so dass Interessierte die 10 Tage andauernde kostbare Sakura-Zeit in ihrer Gegend nicht verpassen. Wie Ihr seht, hat Tokio seinen Zenit in der Zwischenzeit schon überschritten.