Raum und Zeit, drunter und drüber

Was vielen Chinesischlernenden – uns auch – schwer fällt, ist der richtige Gebrauch der zeitlichen Begriffe. So wie im Deutschen von ÜBER-morgen oder VOR-gestern gesprochen wird, werden auch im Chinesischen Wörter für die Zeitbeschreibung verwendet, die sonst den Raum beschreiben, nämlich meistens die Wörter für OBEN (上, shàng wie ShànghÇŽi = Über dem Meer) und UNTEN.
So weit, so nachvollziehbar. Nur, die chinesische Sprache verwendet diese Wörter genau andersrum als wir es mit unserem Raum- und Zeitverständnis erwarten. “Nächste Woche” heisst wörtlich übersetzt “die Woche drunter” und “vergangene Woche” heisst entsprechend wörtlich “die Woche drüber”. Und das ist gar nicht so leicht in den Kopf zu kriegen, weil es eben unserer Denke widerspricht.
Eine kluge Chinesin hat mir kürzlich eine schöne Erklärung und Eselsbrücke geliefert: Die Vergangenheit können wir sehen, die liegt deshalb AUF der Oberfläche; die Zukunft dagegen ist ungewiss, was UNTER der Oberfläche ist, können wir nicht sehen.

Ja, war denn jetzt scho Weihnachten?

Fühlt sich natürlich anders an, Weihnachten in Shanghai zu verbringen. Aber wir hatten hier doch einiges Weihnachtliches am Start: zum Beispiel waren wir auf Chinas größtem deutschen Weihnachtsmarkt. Weil Milch hier Luxusware ist, gab es neben dem üblichen Kram, den man so auf Weihnachtsmärkten kaufen kann, auch einen Stand, an dem ausschließlich Milch verkauft wurde.

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Von Christians Kollegen Bülent konnten wir ein Plastikweihnachtsbäumchen ausleihen, das ein bisschen Weihnachtsstimmung in die Bude gebracht hat.

Am 24. Dezember habe ich eine dermaßen rappelvolle Kirche gesehen wie noch nie zuvor: die St. Ignatius-Kathedrale, wir haben uns natürlich die Messe auf Chinesisch angeschaut, und da wir den Text auf Deutsch ja in etwa kennen, konnten wir auch ein bißchen was verstehen. Der Kirchenbesuch war insgesamt deutlich dynamischer als Kirchenbesuche in Deutschland. Es wurde auch während der Messe immer wieder von neuem um die besten Plätze gerangelt, Fotos werden sowieso immer und überall gemacht, und bei so vielen Leuten war natürlich auch die Verteilung der Kommunion ne ziemlich beeindruckende Angelegenheit.

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Den Heiligabend haben wir dann ganz gemütlich bei Freunden und Bekannten verbracht, mit dem Schmankerl, dass wir vom 43. Stock aus einen tollen Blick auf Shanghai hatten.

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Wir hoffen, Eure Festtage sind und waren so schön, lustig, stimmungsvoll, und besinnlich, wie Ihr es euch gewünscht habt!

Nimm’s nicht persönlich

Im persönlichen Kontakt in China ist es wichtig, das Gesicht zu wahren und Gesicht zu geben. Unter keinen Umständen möchten Chinesen sich selbst oder Menschen in ihrer Umgebung in peinliche Lagen versetzen, stattdessen wird lieber die Wahrheit und die eigene Meinung ein bisschen gebogen. Höflichkeit bedeutet, nicht direkt zu sagen, was man möchte. Wer diese Regeln nicht beachtet und gerade raus widerspricht und seine Meinung sagt, wird schnell selbst als “gesichtslos” wahrgenommen, also links liegen gelassen und nicht ernst genommen – und das passiert natürlich häufig Menschen aus anderen Kulturen.

In der Öffentlichkeit und während unpersönlicher Kurzkontakte herrscht häufig eine ausgeprägte Ruppigkeit. Die westliche Höflichkeit, wie sie sich in Europa nach dem Vorbild des Benehmens bei Hofe entwickelt hat, spielt hier keine Rolle. Zum Beispiel ist es durchaus akzeptiert, lautstark auf den Boden zu rotzen, beim Essen zu rauchen, laut zu schmatzen und zu schlürfen, sein Kind auf die Straße pinkeln zu lassen oder andere zur Seite zu drängeln, um einen Platz in der vollen U-Bahn zu ergattern.

Für Chinesen aus ländlichen Gegenden sind Menschen aus dem Westen häufig noch Aufsehen erregend. Wegen unseres seltsamen Äußeren werden wir immer wieder mal ungeniert angegafft wie ein Elefant im Straßenverkehr. Gerne wird auch über die Elefantenhaftigkeit der Ausländer gesprochen, selbst wenn diese signalisieren, dass sie genug Chinesisch verstehen, um zu wissen, dass es gerade um sie geht.

Einkaufen auf Märkten in China ist ein sportlicher Wettbewerb, in dem alle Mittel erlaubt sind. Da die chinesichen Händler davon ausgehen, dass wir Ausländer erstens ein Vielfaches des chinesischen Einkommens verdienen (das stimmt in vielen Fällen auch) und  zweitens den ursprünglichen Preis überhaupt nicht einschätzen können, wird uns Laowai gerne mal das Doppelte und Dreifache abgeknöpft.

Aber wir sind nicht persönlich gemeint: Dass wir die sozialen Regeln nicht kennen, ist eben so, das erwartet auch niemand von uns. Dass gerotzt und gerüpelt wird, ist normal und erlebt jeder Mensch in China. Dass wir eine Attraktion darstellen, hat eben auch nichts mit uns als Person zu tun, sondern damit, dass China jahrhundertelang abgeschottet war und zum Teil immer noch schwer zugänglich ist. Und dass wir auf den Märkten übers Ohr gehauen werden, jo mei, das verstehen viele Chinesen als ausgleichende Gerechtigkeit und vielleicht sollten wir es auch so sehen.

Meine wichtigste Lektion nach 11 Monaten China: Nimm’s nicht persönlich!

Zufluchtsort

Shanghai war zwischen 1933 und 1941 einer der wichtigsten Zufluchtsorte europäischer Juden. Die Stadt nahm im Stadtviertel Tilanqiao ca. 23.000 jüdische Flüchtlinge ohne Pass und Visum auf; die meisten von ihnen lebten in der “Designated Area for Stateless Refugees”, einem von der japanischen Besatzung zum Ghetto erkärten Viertel. In der Ohel Moyshe Synagoge hat mittlerweile das Shanghai Refugee Museum seinen Sitz und informiert über diese Geschichte. Interessanterweise sind die meisten nach dem Zweiten Weltkrieg abgereist.

Shanghai-Jewish-Refugee-Museum

Drei (B)Engel für Shanghai

Wir hatten Besuch! Christians Bruder Mark hat uns mit seinen Kindern Jana und Elias beehrt. Zu ihrem Aufenthalt bei uns haben wir die Kandidaten getrennt voneinander befragt.

Auf der Mauer, auf der Lauer...
Auf der Mauer, auf der Lauer…

Was war das Highlight eures Besuchs?
a. in Shanghai
b. in Beijing

Jana, Shanghai: das Schokoladenmuseum (eine Zweigstelle der österreichischen Zotter-Schokoladenfabrik, die erstaunlich erfolgreich darin ist, handgeschöpfte Bio- und Fairtrade-Schokoladen in China zu vermarkten)
Beijing: Die Rodelfahrt runter von der chinesischen Mauer. Ja, es gibt wirklich eine Sommerrodelbahn dort (übrigens von der dt. Firma Wiegand).

Ende der Schlittenfahrt
Ende der Schlittenfahrt

Elias, Shanghai: Der Besuch des Mister X Mystery House (eine Art Rätselhaus: Man wird als Gruppe in ein Zimmer gesperrt und muss sich mit Hilfe der im Raum befindlichen Hinweise und Gegenstände und mit viel Teamwork befreien)
Beijing: Nochmal Sommerrodelbahnfahrt. Nicht doch vielleicht die U-Bahn?!

Mark, Shanghai: der Bund (die Flaniermeile mit Blick auf die alte und neue Skyline der Stadt), das Essen. Und in letzter Sekunde noch eingetroffen: der schwindelerregende Glasgang auf dem Oriental Pearl Tower (unter den eigenen Füßen 263 m gähnende Leere).

Der Bund
Der Bund

Beijing: Die Mauer und die Verbotene Stadt

Vor der Verbotenen Stadt
Vor der Verbotenen Stadt

Das Nervigste?
Jana: Das schrille Hupen
Elias: Das viele Hupen und der Feinstaub
Mark: Alles ist übervoll und laut.

Was magst du besonders am chinesischen Essen?
Jana: Dass immer so viele Gerichte auf den Tisch kommen, es ist immer für alle was dabei.
Elias: Dumplings!
Mark:Das Leckerste war auf jeden Fall nicht der Frosch. Es waren zu viele Sachen, um sich festzulegen.

Chinesisch futtern

Könntest du hier leben?
Jana: Nein, es ist zu voll, es gbt zu viele Menschen, das Essen in Deutschland schmeckt mir besser und die Toiletten sind schlimm.
Elias: Nein, zu voll, zu groß, zu viele Leute. Aber eher noch Shanghai als Beijing.
Mark: Nie. Es gbt zu viele Menschen, es ist zu groß und viel zu wenig grün.

In Shanghai auf dem Boot
In Shanghai auf dem Boot

Was ist das Wichtigste, das du mitnimmst?
Jana: Ungefähr 1.500 Handyfotos.
Elias: Die Beats. Ein gängiges Produkt aus dem hiesigen Fakemarket-Eldorado (Kopien, die den Erfinder ehren!).
Mark: Die Erkenntnis, dass das System hier nichts mit Kommunismus und alles mit Kapitalismus zu tun hat. Und den Kontrast zwischen der Glitzer-Glas-Welt und die erbärmlichen Verhältnisse in den kleinen Gässchen daneben.