Die Zwischenzeit


Zur Illustration für die, die die Geographie um Tokio vielleicht gerade nicht präsent haben: Mittig unten der blaue Punkt ist Yokohama, da wohnen wir gerade. Bei der roten Markierung ist ab Mai Christians Büro und etwa ab da wo Shibuya steht, wird Tokio besonders interessant.

Wir wohnen zur Zeit übergangsweise in einer Art Ferienwohnung in der Nähe von Yokohamas Hafen. Eine schöne Sache, da wir am Meer spazieren oder joggen gehen können, um unsere Shanghai-geplagten Lungen durchzulüften und tief durchzuatmen. Aber es ist eben nur ein zwischenzeitliches Zuhause, wir sind – natürlich – auf der Suche nach einer dauerhaften Bude, deren Verkehrsanbindung strategisch möglichst gut zwischen Tokios Zentrum und Christians neuer Arbeitsstelle liegt. Auch unsere Umzugskisten aus Shanghai befinden sich in einer Interimssituation. Sie übernachten zur Zeit beim japanischen Zoll und die Umzugsfirma fragt schon jeden Tag an, wo sie die Kisten nach der Zollabfertigung denn hinliefern darf.

Die derzeitige Situation ist uns vertraut und gleichzeitig nicht. Wir sind angekommen, aber noch nicht ganz da. Wir sind wieder fünf Jahre alt, verstehen das meiste noch nicht so ganz, können nichts lesen und haben nur eine ungefähre Ahnung davon, wie die Dinge funktionieren und der Hase läuft. Während Christian schon fleißig am Arbeiten ist, lerne ich Japanisch und die Gegend kennen. So ähnlich wie vor etwas mehr als zwei Jahren in Shanghai.

Sakura Forecast

Die Kirschblüten (Sakura) übrigens markieren auch so eine Zwischenzeit, der Frühling ist angekommen, aber noch nicht ganz da. Ganz Japan freut sich an ihnen, es gibt sogar eine offizielle Blühvorhersage (hier von http://www.japan-guide.com/sakura), so dass Interessierte die 10 Tage andauernde kostbare Sakura-Zeit in ihrer Gegend nicht verpassen. Wie Ihr seht, hat Tokio seinen Zenit in der Zwischenzeit schon überschritten.

 

Big in Tschäpän: Anni und Chrissi besuchen die Nachbarn

Sommerzeit – Urlaubszeit, Anni und Chrissi wollen auch mal abspannen. Während China den siebzigjährigen Jahrestag zur Kapitulation Japans feiert, erobern wir genau diesen Inselstaat mit dem Rucksack auf dem Rücken auf unsere Weise.

Hier unser Ratatouille an gedanklichen und fotografischen Erinnerungen:

‌1. Schläppchen-Country

Japan ist das Land der Schläppchen. Auf jeden Einwohner kommen viele hundert Paare. Das liegt daran, weil an jeder Türschwelle das Schuhwerk gewechselt wird. Also beim Eintreten in eine Wohnung, vor dem Schlafzimmer und vor der Toilette. Eine kleine Schwierigkeit besteht darin, die Schläppchen wieder in Schlüpfrichtung beim Verlassen des Schläppchenbereichs abzustellen. Natürlich geht das auch per Hand, der Connaisseur vermag es jedoch mit einem gekonnten Fußkunststück!

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2. Mülleimer-Wahnsinn

Eine tolle japanische Erfindung zur Müllvermeidung ist die Nicht-Bereitstellung von Mülleimern. Viele Kilometer mit den Taschen voller Unrat haben wir auf unserem Urlaub zurückgelegt, ohne ein geeignetes Behältnis zu finden. Mülleimer scheinen auf verstörende Weise nahezu komplett aus dem Land verbannt. Die Abfalleimerabstinenz treibt sogar solche Blüten, dass weibliche Besucher aufgefordert werden, alle (!) sanitären Abfälle wieder mit zu nehmen und anderorts zu entsorgen.

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Hat man nach langem Suchen mit viel Glück und in größeren Städten dann noch ein Plätzchen zur Abfallbeseitigung gefunden, heisst es sortieren: brennbare, nicht brennbare, Kunststoff- und Dosenabfälle werden separiert. Die Komplexität des Systems steht der deutschen Trennpraxis in nichts nach.

Eine andere Erklärung fuer den Mülleimermangel ist die Angst vor Terroranschlägen, wie der, der 1995 auf die Tokioter U-Bahn ausgeübt wurde.

3. Automaten-Pandemie

Automaten gibt es ungelogen an jeder Straßenecke von Osaka und Tokyo. Unabhängig davon, ob direkt daneben ein Kiosk ist, stehen die blinkenden Dinger ständig bereit. Sie versorgen den durstigen Kunden mit unzähligen Kaltgetränken, darunter einige Eis-Kaffeesorten, wovon wir die Geschmackvollste noch nicht gefunden haben.
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Den Automat am ungewöhnlichsten Aufstellort fanden wir in einer Berghütte auf über 2000m. Immerhin ist man dem Wirt keine Rechenschaft schuldig, wenn man schon wieder Bier kauft ;-)

Einen seltsamen Bezahlautomat haben wir bei einem Friseurbesuch benutzt. Man bezahlt einen Einheitspreis (glaube geschlechterspezifisch), bekommt einen Bon und geht damit zum Friseur. Vielleicht ist das Mißtrauen gegenüber der Belegschaft zu hoch?! – Wir finden’s quatsch.

4. Knoff-Hoff

Die Japaner sind allgemein für ihre Technikversessenheit bekannt, dieses Klischee können wir nun voll nachvollziehen. Zum Teil fühlt man sich an die Oma erinnert, die im Hühnerstall Motorrad fährt und einen Nachttopf mit Beleuchtung ihr eigen nennt. Hier ein paar Beispiele:

  • Die Taxitür öffnet automatisch. Bitte nicht per Hand bedienen.
  • Der Seifenspender muss nicht gedrückt werden, er spuckt bei Näherung Schaum.
  • Das Waschbecken hat ein integriertes Händetrockensystem. Hände nach vorne links: Seife. Hand nach vorne rechts: Wasser, Hand nach hinten Luft.
  • Die Toilettensitze kennen die meisten schon. Heizung und Wasserdusche sind Standard. Als Extra gesehen: Musikeinspielung und auch mit Fernbedienung (sonst am Sitz montiert).
  • Man erzählte uns zudem von Kühlschränken mit Vakuum-Fach und unterschiedlichen Temperaturzonen. Es soll Bekannte geben, die sich auf ihrem Japan-Urlaub stundenlang in Elektronik-Kaufhäusern rumdrücken, um zu erkunden was der letzte Schrei im Techniksektor ist.
  • Nicht High-Tech, aber so brilliant weil naheliegend: Auf dem Toilettenspülkasten ist ein direkt ein einfaches Waschbecken integriert. Läuft das Wasser nach dem Spülvorgang nach, kommt es aus dem Hahn und man kann sich sofort darunter die Händewaschen.
  • Auch gut: unterschiedlich tief hängende Halte-Griffe in der U-Bahn bedeutet keine Diskriminierung von Großwüchsigen.

5. First Safety Country

Japaner sind auf Sicherheit bedacht. An vielen Orten werden Vorkehrungen getroffen, um Unfälle zu vermeiden. Soweit so gut. Manchmal wirkt das allerdings etwas übertrieben und pedantisch und man fragt sich, ob man von einem erwachsenen Menschen nicht mehr eigenständige Vorsicht erwarten kann.

Die Krönung im Stadtbild sind Sicherheitsbeauftrage die dafür Sorge tragen, dass Baustellen oder Einfahrten auch wirklich sicher sind. Mit Lichtschwertern bedeuten sie den Verkehrsteilnehmern, zu warten oder ihre Reise fortzusetzen. Wir beobachteten einen Bauarbeiter, der ein Rohr über die Straße trug.  Tatsächlich befand sich an beiden Enden ein Lichtschwertkämpfer, um diese gefährliche Situation zu entschärfen. *Puh*.image

Weitere Sicherheitsfeatures:

  • Die Aufzüge haben neben der üblichen Störungsanzeigen auch eine für Erdbeben.
  • Die Feuerlöscheinrichtungen in Hotels sind durch ein stets leuchtendes Licht extra deutlich gekennzeichnet.
  • Beim Halt auf einer ebenen Raststätte legt der Fahrer des Reisebusses Keile gegen Abrollen unter die Räder.
  • Auf öffentlichen Toiletten gibt es für Bedürfnishabende mit Kleinkind einen ausklappbaren Kindersitz.

Chatten in China

Statt mit der von der freieren Welt bevorzugten Chatsoftware ‘Whatsapp’, ist in China das staatlich kontrollierte ‘Wechat’ beliebt. Das App ist eine Mischung von Messenger und Sozialem Netzwerk, gut gemacht und verfügt auch über einige Zusatzfunktion, die man beim Mitbewerber nicht kennt: Taxi rufen, Kinotickets buchen, Handy schütteln um einen neuen Kontakt zu finden (der ebenfalls schütteln muss), Chatten über eine Website.

Ich rätsele allerdings oft über die Sinnhaftigkeit der Emoticons. Bei vielen wüsste ich nicht, zu welcher Gelegenheit ich sie nutzen sollte. Zudem sind die von mir am häufigsten verwendeten Icons irgendwo zwischen den Unverständlichen versteckt ¶°}

Aber seht selbst:

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Wandern mit Möpsen ist möglich, aber sinnlos

Wandern und Chinas schöne Natur geniessen – das war unser Anliegen, als wir uns mal wieder für einen Wochenendausflug mit der Outdoor-Aktivitäten-Gruppe Yejo entschieden haben. Dieses Mal ging es für uns in die Nähe von Níngguó, wörtlich übersetzt: beschauliches Land.image Der Name verspricht nicht zuviel: die Landschaft ist wunderschön und wild, d.h. es gibt Wanderpfade, wie man sie aus den Alpen kennt, nicht betonierte Treppen, wie wir es schon öfter in China erlebt haben.

Aber nun zu den vierbeinigen Überraschungs-Hauptakteuren des Wochenendes: das Mopsteam um Biscuit und Dami (übersetzt Keks und Reis). Die zwei wurden von ihrem shanghainesischen Frauchen als recht fit bezeichnet und das sind sie vielleicht auch für Stadtmöpse.image

Etwas weniger optimistisch war die bunt gemischte menschliche Wandertruppe, die schon gleich zu Anfang Wetten abgeschlossen hat, ob die Kleinen nach zwei oder drei Stunden schlapp machen… nach einer halben Stunde war es soweit: die ersten unüberwindbaren Hürden in Form von mittelgroßen Steinbrocken taten sich auf. Erschwerend kam hinzu, dass wir entlang eines Wasserlaufs den Berg raufstapften und darum alle 50 Meter die Überquerung des Bergbaches anstand. Das stellte auch psychologisch ein großes Hindernis für einen der Möpse dar, der aufgrund traumatisierender frühkindlicher Erfahrungen eine Wasserphobie entwickelt hatte.
image Da die Tiere also alle paar Meter über Steine oder Wasser gehoben werden mußten, dauerte es nicht lange, bis die Möpse im Rucksack landeten. Natürlich konnte die zierliche Hundebesitzerin die zwei 8 und 10 Kilo schweren Lieblinge nicht alleine tragen.
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Darum wurde diese Aufgabe schnell an kräftige Maenner mit großen Rucksäcken übertragen, die ihre Aufgabe anfangs amüsiert, später zunehmend zerknirscht ausführten. image  image

Die ersten 5 Stunden der Wanderung wurden also vom Möpse-Ein-und-Ausladen, vom Möpse-über Hindernisse-heben und von kurzen Gehversuchen der Möpse bestimmt.
Da fielen die zwei Shanghainesinnen kaum auf, die sich aufgrund der Matschigkeit des Bodens und der Glätte ihrer Schuhsohlen genötigt fühlten, den Berg rauf- bzw. runterzukriechen. Vielleicht haben sie sich auch einfach vom Erfolgsmodell Vierbeinantrieb inspirieren lassen.

Den Abstieg meisterten die kleinen Viecher erstaunlich souverän, von ein paar kleinen Hebefiguren über Wasser mal abgesehen. Der Weg hinab wurde durch einen anderen Umstand erschwert und entscheidend verzögert: Nicht nur hatten wir einen Hund mit Aquaphobie dabei, sondern auch eine Teilnehmerin mit Akrophobie, sprich: Höhenangst. Mit viel Überredungskunst, Feingefühl und Geduld von Seiten unseres Guides kam glücklicherweise auch sie rechtzeitig bei Anbruch der Dunkelheit wieder heil bei unserer Herberge awpid-mmexport1428363652227.jpgn.

Trotz all dieser Besonderheiten war es ein wunderschöner Trip ins Grüne, wir hatten eine tatsächlich recht anspruchsvolle Wanderung mit Klettersteigelementen wie Metalleitern und ein paar Kraxelpartien, Bewegung, frische Luft, Natur – alles, was wir uns erhofft hatten.

wpid-mmexport1428362928514.jpgAbends hat die Hundefrau zur Wiedergutmachung und Begeisterung aller eine Runde Bier spendiert.